Mittwoch, 3. September 2014

Schmerzempfinden im Alter

Ich kenne Zingara als taffer Hund, der keine Schmerzen zeigt, bis es wirklich gar nicht mehr geht. Desto schockierter war ich, als Zingara wegen einer eigentlich relativ kleinen Verletzung völlig austickte, so dass nicht einmal die sofort verabreichten starken Schmerzmittel zu helfen schienen.

Zingara hatte sich eine Wolfskralle ausgerissen. Das ist sicher schmerzhaft, es ist aber auch nicht zum ersten Mal passiert. Bei den ersten beiden Malen fand ich es schlimmer als Zingara, jetzt beim dritten Mal war es ein einziges Drama: Zingara zitterte am ganzen Körper, hatte den Schwanz eingezogen und zeigte ihr "Stressgesicht" - und das 24 Stunden lang. 

Ich fragte mich also, ob sich das Schmerzempfinden im Alter verändert und machte mich auf die Suche nach Antworten:

Durch das, dass im Alter die Organfunktion tendenziell abnimmt (man denke nur schon an den Bewegungsapparat: Arthrose, Gelenkknorpeldegeneration, Muskelabbau,...), leiden ältere Individuen auch häufiger unter (chronischen) Schmerzen. Doch ob Lebewesen im Alter ein verändertes Schmerzempfinden haben, ist noch nicht wirklich klar. Literatur über das Schmerzempfinden bei Hunden habe ich so gut wie gar nichts gefunden, so unähnlich vom Menschen wird es aber wohl nicht sein. 

Was seit längerem bekannt ist, dass sich der Schmerz quasi summieren kann (sogenannte Hyperalgesie), was zu einer übermässigen Schmerzempfindlichkeit führt. Je mehr Schmerzen ein Individuum also bereits hat (siehe oben die Altersgebrechen), desto eher kann es zu einer Hyperalgesie kommen (Fan, 2014).

In älteren Publikationen wird davon ausgegangen, dass der Schmerz im Alter normaler wird. Der Mensch gewöhnt sich an den Schmerz, passt sich daran an, sodass auch die Schwelle steigt, bis der Schmerz wahrgenommen wird. Andere Studien haben keine Alterseffekte nachgewiesen, während einige tatsächlich von einer erniedrigten Schmerzschwelle ausgehen (Gibson, 2003). Hm. Doch gerade in neueren Publikationen wird immer öfters angenommen, dass die Schmerzschwelle tendenziell abnimmt, da auch signifikante Veränderungen im Nervensystem stattfinden (McCleane, 2007; Cole et al., 2010; Lautenbacher, 2012).

Beim Hund kommt erschwerend noch dazu, dass es bezüglich des "normalen" Schmerzempfindens auch grosse Rassenunterschiede gibt (Jagdterrieren wird zumindest nachgesagt, dass sie keine Schmerzen kennen). Somit wird es noch komplizierter, verändertes Schmerzempfinden bei alten Hunden zu beweisen. 

Bei Zingara tendiere ich inzwischen zur Erklärung, dass vor drei Wochen zu viel zusammengekommen ist: Die bekannten Probleme mit dem Bewegungsapparat (die wir eigentlich gut im Griff haben), seit wenigen Wochen die bösartige Veränderung und dann obendrauf noch die schmerzhafte Wolfskralle, so dass sie im Moment nicht mehr damit umgehen konnte. :-( Und wenn dann sowieso noch zusätzlich die Schmerzschwelle erniedrigt ist...

Inzwischen haben sich alle wieder etwas beruhigt. Und die Wolfskralle braucht jetzt einfach Zeit, bis sie wieder nachgewachsen ist. 

Referenzen:

Cole L.J., M.J. Farrell, S.J. Gibson, G.F. Egan, 2010: Age-related differences in pain sensitivity and regional brain activity evoked by noxious pressure. Neurobiology of Aging 31(3), 494-503. 

Dimova V., C. Horn, A. Parthum, M. Kunz, D. Schöfer, R. Carbon, N. Griessinger, R. Sittl, S. Lautenbacher, 2013: Does sever acute pain provoke lasting changes in attentional and emotional mechanisms of pain-related processing? A longitudinal study. J Pain, 154(12), 2737-2744.

Fan T.M., 2014: Pain Management in Veterinary Patients with Cancer. Vet Clin North Am Small Anim Pract 44(5), 989-1001. 

Gibson, S.J., 2003: Proceedings of the 10th World Congress on Pain: Pain and aging: the pain experience over the adult lifespan. IASP Press.

Lautenbacher S., 2012: Experimental Approaches in the Study of Pain in the Elderly. Pain Med 13, 44-50.

McCleane G., 2007: Pharmacological pain management in the elderly patient. Clin Interv Aging 2(4), 637-643.

6 Kommentare:

  1. Liebe Nadine,

    ein sehr interessanter Beitrag. Ich weiß, dass viele Tibet Terrier die Fellpflege mit zunehmenden Alter nicht mehr aushalten. Das Ziepen und Entfilzen wird als unangenehmer empfunden und auch die Ausdauer fehlt.
    Daher lassen viele Halter ihre Hunde scheren, obwohl das Fell gerade im Alter als Wärneschutz gebraucht wird.
    Insoweit könnte Dein Ansatz richtig sein.

    Viele liebe Grüße
    Sabine mit Socke

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    1. Das mit der Fellpflege wusste ich nicht. Da steckt man ja ganz schön im Dilemma. ..
      Ich habe mir zusammengetragen, was ich in der Literatur gefunden habe, meine Ideen sind es nicht!

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  2. Sehr interessant... ich wünsche jedenfals gute Heilung!

    Schlabbergrüße Bonjo

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  3. Nun, aus eigener Erfahrung kann ich guten Gewissens behaupten, dass es irgendwann reicht. Jeder Schmerz ist dann echt einer zuviel. Warum soll es Hunden da nicht anders gehen...

    Ob die Schmerzgrenze im Alter sinkt, mag ich nicht zu beurteilen. Entweder bin ich noch nicht alt genug oder ich hab einfach zu viele chronische Schmerzen. Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass ein gewisser Gewöhnungseffekt eintritt, was leichte Schmerzzustände betrifft. Dann werden wahrscheinlich nur noch die regelrecht einschränkenden Schmerzzustände als solche wahrgenommen, sonst würde man ja wahnsinnig. Immerhin summieren sich im Laufe der Jahre die unterschiedlichsten Zipperlein, die in jüngeren Jahren ja meist nur als Einzelvariante mit begrenzter Zeitdauer auftraten.

    LG Frau Dr. Dr. med. dent. vet. A.

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    1. Ich bin ganz Ihrer Meinung, Frau Dr. Dr. med. dent. vet.! Das was andere eigentlich als ganz logisch empfinden, muss ich immer mit einer ewiglangen Suche wissenschaftlich belegen, um dann zum gleichen Schluss zu kommen....

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  4. Morgennasenstups von Ayka
    Wuff, was zu Heftig ist - ist einfach zu viel.
    Frauchen meint, deine Schlussfolgerung sei für sie stimmig, zu viel - ist zu viel - auch für uns Hunde. Die heftige Reaktion von Zingara könne wirklich vom der allgemeinen Abgeschlagenheit kommen, und sie somit einfach keine Energie für zusätzliche Belastungen mehr frei machen konnte/kann. (Mein Frauchen will auch immer alles mit dem Kopf nachvollziehen können).
    Morgennasenstups und eine gute Portion Energie von Ayka

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